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Dein Profil – und Michelangelos David

Michelangelo war ein Popstar der Renaissance. Sicher auch ein Nerd, dessen Sozialkompetenzen manchmal zu wünschen übrigließen. Insbesondere, wenn es um Konkurrenten oder Kritiker ging. Aber vor allem war der 1475 in Caprese in Italien geborene Künstler ein Genie. Als Maler, Dichter, Baumeister und Bildhauer. Seine Meisterwerke reichen von seiner Pietà über die Fresken der Sixtinischen Kapelle bis hin zum Petersdom, dessen Vollendung er in hohem Alter in Angriff nahm. Er ist 26 Jahre alt, als er in Florenz ein Werk beginnt, das zur Ikone der Epoche wird. Es ist sein David, die berühmteste Statue der Welt. 5,17 m hoch, knapp 6 Tonnen schwer und heute in der Galleria di Belle Arti in Florenz zu bewundern.

Eine schwierige Geburt

Faszinierend ist die Entstehungsgeschichte der Statue. Sie war ursprünglich schon 1464 von den Bauherren des Florentiner Doms in Auftrag gegeben worden. Entstehen sollte sie aus einem einzigen Marmorblock. Dieser war bereits gebrochen und nach Florenz gebracht worden. Zwei Bildhauer versuchten sich an dem Werk, bearbeiteten den Block in Ans tzen und gaben auf. So fristete dieser jahrzehntelang ein unvollendetes Dasein im Domgarten. Bis die Zeit reif war für einen dritten Anlauf. Ein Name war in aller Munde: Michelangelo! Dieser nahm die Herausforderung an und arbeitete drei Jahre an der monumentalen Statue. Als er sie der Öffentlichkeit präsentierte, wurde sofort klar, dass er ein einzigartiges Werk geschaffen hatte.

Ein Block mit scheinbaren Fehlern

Wenn man den David betrachtet, kommt einem ein Gedanke: Perfekt! Diese Statue dürfte gar nicht anders aussehen. Doch Michelangelo konnte die Form des Davids nicht völlig frei aus dem Marmorblock herausarbeiten. Er musste berücksichtigen, was der Stein ihm bot und das, was seine Vorgänger an Vorarbeit hinterlassen hatten. Eigenarten, die auf den ersten Blick als Unzulänglichkeiten wahrgenommen werden konnten. So wies der Marmor Löcher und Adern auf. Er war durch seine Vorgänger bereits bossiert, d.h. sie hatten schon eine grobe Form herausgearbeitet. Dabei waren sie noch davon ausgegangen, dass die Figur hoch oben auf dem Dom ihren Standort finden würde. Die Proportionen waren darum dem Blick von unten angepasst. Der Block war nicht besonders tief, was die Gestaltung beschränkte. Zudem hatte einer der Vorgänger bereits ein Loch in den Stein getrieben, das die Beine trennen sollte.

Michelangelo musste die Beschränkungen nutzen

Michelangelo musste dies bei der Gestaltung beachten und optimal nutzen. Die limitierte Tiefe des Steines führte dazu, dass David uns mit einem schlanken, nicht übermäßig muskulösen Körper gegenübersteht. Sie ist auch der Grund für seinen relativ schmalen Rücken und dafür, dass er zur Seite blickt. Eine Frontalansicht war nicht zu realisieren, es war nicht genug Material vorhanden. Dafür gab die seitliche Drehung die Möglichkeit einer naturgetreuen Darstellung der Halssehnen, wie man sie bisher noch nie gesehen hatte. Das bereits in den Stein getriebene Loch erzwang von vornherein den Stand als Kontrapost. Die Hüfte ist abgeknickt, das Spielbein steht frei. In Summe also all das, was die Einzigartigkeit dieser Statue ausmacht.

Eine schöne Metapher

Diese Episode der Kunstgeschichte ist eine schöne Metapher für einen zentralen Punkt im Karrierecoaching. Zu Beginn steht die Frage, was dein Profil besonders macht. Um das Herausarbeiten deiner individuellen Eigenschaften, Stärken und Erfahrungen. Als Basis für die weiteren Schritte. Dein Profil soll prägnant und damit klar wahrnehmbar und zu kommunizieren sein.

Das Herausarbeiten des eigenen Profils braucht Abstand

Viele tun sich schwer damit, dieses Profil pointiert herauszuarbeiten. Das ist nicht verwunderlich. Es fehlt uns der nötige Abstand, wenn es um uns selbst geht. Das ist der zentrale Nutzen, den ein Karrierecoach bietet. Die neutrale Perspektive von außen. Aus dem gleichen Grund spielt auch das systematische Einholen von Feedback durch Dritte am Anfang des Prozesses eine wichtige Rolle. So wie der Bildhauer vor dem Marmorblock steht und herauszufinden versucht, welche Figur sich in diesem verbirgt.

Materialfehler … die keine sind

Der Kern der Metapher steckt aber natürlich an einer anderen Stelle. Die scheinbaren Beschränkungen oder „Materialfehler“ haben wesentlich dazu beigetragen, dass der David so einzigartig ist. Hätte David, als er noch in seinem Block steckte, sprechen können, hätte er vielleicht zweifelnd festgestellt: „Irgendwie alles viel zu schmal. Und diese Adern und Löcher in meinem Marmor. Dann auch noch das Loch, das der andere Typ schon mal reingehauen hat. Wie soll ich das erklären? Wie soll daraus ein Profil werden, das das Management des Doms überzeugt? Diese Zweifel begegnen mir nicht selten, wenn ich mit Kund:innen an ihrem Profil arbeite. Der bisherige Werdegang scheint irgendwie nicht klar genug. Da gibt es Dinge, die nicht zueinander zu passen scheinen. Man könnte natürlich darauf hinweisen, dass man sich an der Stelle doch heute entspannen kann. Mosaikkarrieren sind en vogue und Quereinsteiger gefragt. Die Bereitschaft, in neue Bereiche zu wechseln steht für die so wichtige Flexibilität im New Work.

Scheinbare Brüche haben oft einen gemeinsamen Kern

Dennoch bleibt der Wunsch und auch die Notwendigkeit, die Geschichte hinter dem eigenen Lebenslauf stimmig zu erzählen. Genauso wie die Zweifel, wie das gelingt, wenn der rote Faden nicht sofort ersichtlich erscheint. Aber wenn man, im übertragenen Sinn, den Meißel ansetzt und sich den Werdegang anschaut, dann ergibt sich aus diesen scheinbaren Brüchen nicht selten das, was die Einzigartigkeit ausmacht. Oft hat das, was auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheint, einen gemeinsamen Kern. Diesen gilt es zu fassen, hervorzuholen und deutlich zu machen.

Ein typisches Beispiel

Ich arbeitete mit einem Kunden zusammen, der in einem Touristikunternehmen Lehrgänge für externe Kunden konzipierte. Dann gab es wieder Phasen, in der er als Freiberufler im Immobilienbereich tätig war. Jetzt wollte er sich auf eine Stelle im Immobilienfinanzierungsbereich einer Bank als Key Account Manager bewerben. Und war unsicher. Wie mache ich diese Wechsel zwischen den verschiedenen Branchen klar? Passt doch nicht zusammen. Ich habe mich nie spezialisiert. Sieht doch so aus, als wüsste ich nicht genau was ich will. Offensichtlich war aber, dass ihm beide Tätigkeitsfelder Spaß machten. Daran arbeiteten wir und schürften tiefer. Zum Vorschein kam eine gemeinsame Basis. Es war seine ausgeprägte Fähigkeit und Lust daran, im direkten Kontakt mit Kunde Lösungen für diesen zu finden, sie umzusetzen und dabei seine einzigartige Kombination von analytischer und emotionaler Kompetenz zu nutzen. Das war sein USP, sein Kern. Die Branche war gar nicht entscheidend. Diesen Kern haben wir in seinem Lebenslauf, seinem Anschreiben und in seiner Selbstpräsentation deutlich herausgearbeitet. Damit war sein beruflicher Werdegang sofort stimmig und interessant, die unterschiedlichen Betätigungsfelder eigentlich nur Ausdruck seiner Flexibilität.

Den Kern finden

Natürlich gibt es auch Konstellationen, die in der Tat schwierig sind. Brüche und lose Enden sind hier nicht Ausdruck eines zugrunde liegenden „Purpose“, sondern sie spiegeln wider, dass dieser noch nicht gefunden wurde. Da wurden vielleicht viele Dinge ausprobiert und dann wieder liegen gelassen. Ein Schlingern. Aber auch gerade in diesen Fällen ist es wichtig und spannend sich auf die Suche zu begeben. Was ist es eigentlich, was mich antreibt und mir wichtig ist? Ein zentraler Aspekt im Karrierecoaching. In anderen Fällen hat sich dieser Kern schon manifestiert. Doch in so unterschiedlicher Form, dass es vielleicht auf den ersten Blick irritiert. Dann geht es darum, das Gemeinsame herauszumeißeln. Die Unstimmigkeiten sind dann keine mehr, sondern fließen in ein klares Profil. Und natürlich gilt sowieso: Niemand ist perfekt. Auch Michelangelos David nicht.