Ich gebe es zu. Es fällt mir schwer, mich mit aktuellen Businessthemen zu beschäftigen. Die eingeschränkte Motivation lässt sich gut messen. In Länge des Regals bei Hugendubel, das mit den entsprechenden Büchern bestückt ist. Je länger, desto weniger Lust. Es ist eine Art Trotz. Ich will mich nicht mit jedem Modethema beschäftigen. New Work, Design Thinking, Agile Organisation … nur ein paar Beispiele. Zum Trotz gesellt sich dann ein schlechtes Gewissen. Man müsste ja schon allein von berufswegen. Dann scheine ich zu allem Überdruss auch noch der Einzige zu sein, der sich mit den Themen noch nicht intensiv beschäftigt hat und der vor allem noch nicht ausreichend beseelt ist. Natürlich tue ich den Themen oft unrecht. Meist überwinde ich ja auch meinen kleinen Widerwillen. Manches überzeugt oder begeistert mich sogar. Ein Beispiel: Storytelling. Ebenfalls ein Begriff, dem man heute kaum entkommen kann. Google spuckt 150 Millionen Treffer aus. Storytelling als Zaubermittel für die Vermittlung von Informationen. In Präsentationen, im Marketing, im Vertrieb, in Mitarbeiterschulungen, bei der Erklärung von Big Data. Alles soll in eine spannende Geschichte verpackt und so optimal und nachhaltig vermittelt werden.
Warum Schule Kreativität tötet – Storytelling heute
Dass gutes Storytelling wirkt, wird kaum jemand bestreiten. Schließlich haben wir alle lange vor jeder Modewelle oder Etikettierung erfahren, wie sehr uns gute Geschichten fesseln. Genauso wie Menschen, die diese erzählen können. Oft denken wir dabei an Romane, Filme oder Märchen aus Kindheitstagen. Wenn uns Vorträge von Steve Jobs beeindrucken, müssen wir uns dagegen oft erst einmal bewusst machen, dass hier Storytelling betrieben wird. Fakten und Anliegen werden vermittelt, indem sie in eine Handlung konkreter Personen eingebettet sind. Greifbare Episoden, die spannend sind und Emotionen erzeugen. Wer sich einen Eindruck von Storytelling as its best machen möchte, dem sei der TED-Vortrag zum Thema „Do schools kill creativity?“ von Sir Ken Robinson ans Herz gelegt. Stichwort auf Youtube eingeben genügt. TED steht für Technology, Entertainment, Design und ist ein Format, in dem Redner*innen verschiedenste Themen live präsentieren. In maximal 20 Minuten. Die TED Talks sind mittlerweile enorm populär, eine Modewelle für sich. Robinson setzt sich in seinem Vortrag kritisch mit unserem Schulsystem auseinander. Ein Thema, bei dem man vor seinem inneren Auge im ersten Moment Folien mit Tabellen und Studienergebnissen sieht. Stattdessen webt Robinson Fakten in sehr persönliche Erlebnisse ein und würzt sie mit wunderbarem Britischen Humor und Selbstironie. Zu Recht führt sein Vortrag das Ranking der Top TED Talks an.
Unser Gehirn liebt Geschichten
Geschichten funktionieren, weil sie unserem Gehirn geben, was es braucht. Die moderne Hirnforschung bestätigt dies mit Nachdruck. Fakten, die in Geschichten eingebettet sind, werden wesentlich besser erinnert. Forschungsergebnisse zeigen klar, dass unser Gehirn dann optimal verarbeitet und erinnert, wenn Zusammenhänge deutlich werden. Geschichten tun genau dies. Sie liefern Zusammenhänge, Bedeutung, Sinn. In Form von Handlungen, die für uns greifbar und nachvollziehbar sind. Unser Gehirn ist regelrecht süchtig nach Zusammenhängen. So sehr, dass es kontinuierlich nach diesen sucht. Auch wenn sie objektiv gar nicht vorhanden sind. Es ist für uns nahezu unmöglich drei zufällig nebeneinander gestellte Sätze zu lesen, ohne dass wir beginnen, sie zu verknüpfen. Beispiel gefällig? Satz eins: „Die Frau nimmt die Schere vom Tisch.“ Satz 2: „Seit zwei Tagen ist Herr Meier nicht an seinem Arbeitsplatz erschienen.“ Satz 3: „Blutflecken lassen sich mit warmem Wasser entfernen.“ Schon beginnt unser Kopf Zusammenhänge zu konstruieren. In Form einer Geschichte. Wahrscheinlich ein Krimi. Manfred Spitzer, Neurowissenschaftler und Psychiater bringt es in seinem Klassiker „Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens“ auf den Punkt: „Geschichten treiben uns um, nicht Fakten. Geschichten enthalten Fakten, aber diese Fakten verhalten sich zu den Geschichten wie das Skelett zum ganzen Menschen. Wer glaubt, beim Lernen gehe es darum, Fakten zu büffeln, der liegt völlig falsch; Einzelheiten machen nur im Zusammenhang Sinn, und es ist dieser Zusammenhang und dieser Sinn, der die Einzelheiten interessant macht. Und nur dann, wenn die Fakten in diesem Sinne interessant sind, werden sie auch behalten“. Geschichten liefern aber nicht nur Zusammenhänge, sondern auch Gefühle. Dramaturgie, Personen und Handlung rufen Emotionen und Aufmerksamkeit hervor. Aufmerksamkeit ist wichtige Voraussetzung für Erinnern. Der positive Einfluss von Gefühlen, insbesondere von positiven und auf mittlerem Niveau anregenden, auf das Einprägen von Informationen ist lange durch die Forschung bestätigt.
Geschichten haben klassische Muster
Thomas Pyczak beschreibt in seinem Bestseller „Tell Me! Wie Sie mit Storytelling überzeugen“ sieben Grundmuster, denen die meisten Geschichten folgen. Diese Grundmuster sind wie Schablonen und schablonenhafte Muster sind wiederum für unser Gehirn gut zu verarbeiten. Zu den von Pyczak aufgeführten Basisplots gehören beispielsweise „Reise und Rückkehr“. Die Helden gelangen wie Alice im Wunderland in eine fremde Welt, müssen sich dort zurechtfinden, Gefahren überstehen, wachsen daran und kommen gestärkt zurück. Oder „Die Suche“. Wie Odysseus, Frodo aus „Herr der Ringe“ oder – wer das noch kennt – Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt müssen sich die Held*innen zu einem fernen Ziel aufmachen, um eine Mission zu erfüllen. Sie findet dabei Freunde und müssen mit ihnen gemeinsam Prüfungen bestehen, bevor sie ihre Mission erfolgreich abschließen. In „Das Monster überwinden“ tyrannisiert ein Grauen die Welt und muss besiegt werden. Dies geschieht in fünf Schritten: Berufung des Helden, erster Erfolg und Frustration, Alptraum, wundersame Flucht, Tod des Monsters. Nach diesem Muster bringt Chief Brody den Weißen Hai zur Strecke, schießt Ripley das Alien in den Weltraum oder zerstört Luke Skywalker den Todesstern.
Dein Arbeitsalltag steckt voll spannender Geschichten
Aber es müssen nicht immer die Held*innen aus Klassikern der Literatur oder des Kinos sein. Wenn du genau hinschaust, wirst du feststellen, dass dein Arbeitsalltag voller Geschichten steckt, die diesen Grundmustern folgen. Da ist beispielsweise der Mitarbeiter aus dem Vertrieb, der nach Asien entsandt wird, um eine neue Niederlassung aufzubauen. Er ist skeptisch, möchte eigentlich gar nicht und nimmt doch die Herausforderung an. Er muss in eine neue Kultur eintauchen, zusammen mit seiner Familie Probleme überwinden, Niederlagen einstecken und schafft es doch, die Aufgabe zu erfüllen. Nach drei Jahren kommt er zurück und ist an der Herausforderung gewachsen. Eine Story, die dem Plot „Reise und Rückkehr“ folgt. Oder eine junge Frau, die sich um Fördergelder bemüht und von ihrem Traum vom eigenen Unternehmen berichtet. Wie sie sich aufgemacht hat, dieses Ziel zu erreichen. Sie hat ihren ursprünglichen Job aufgegeben, um das zu tun, wovon sie träumt. Sie hat Mitstreiter*innen gefunden und sich Probleme jeder couleur stellen müssen, bevor sich der erste Erfolg einstellte. Die klassischen Etappen des Musters „Die Suche“. Da ist der Leiter der Werbeagentur, der den bösen Mitbewerber abwehren kann, indem er in letzter Sekunde den Großkunden durch einen herausragenden Pitch überzeugt, das Werbebudget weiter in der Agentur zu belassen. Nichts anderes als „Das Monster überwinden“. Dabei müssen die Held*innen auch gar nicht immer als strahlende Sieger hervorgehen. Sie dürfen auch tragisch sein. Nicht jede Geschichte muss oder kann ein Happy End haben. Aber sie sind es wert, erzählt zu werden. Nicht nur aber vor allem auch im Rahmen einer beruflichen Neuorientierung. Beispielsweise im Bewerbungsinterview.
Bewerbungsinterview – der Moment für Geschichten
„Erzählen Sie uns doch mal, was Sie als Ihren größten Erfolg ansehen.“ Oder: „Sie sagen, Sie können gut mit Unvorhergesehenem umgehen. Machen Sie uns das doch mal einem konkreten Beispiel deutlich. Wann und wo haben Sie diese Fähigkeit gezeigt?“. Wir alle kennen diese Fragen in Bewerbungsinterviews. Die Antworten sind oft sehr sachlich. Oft aus dem Wunsch heraus, professionell und abgeklärt zu wirken. Etwa in der Art: „Ich habe ein sehr komplexes Projekt zur Produkteinführung in der D-A-CH Region geleitet. Mit sehr schwierigen Herausforderungen, knappem Budget und einer Vielzahl von Schnittstellen.“ Soweit die Fakten. Dann kommen die Nachfragen: „Erzählen Sie doch mal konkret, wie Sie genau vorgegangen sind.“ Eine klare Aufforderung: „Erzähle uns eine Geschichte!“. Die Chance solltest du nutzen. Um anschaulich zu vermitteln, welches deine Kompetenzen sind und was dich als Menschen ausmacht. In einer Weise, die deinem Gegenüber im Gedächtnis haften bleibt und ihm die Gelegenheit gibt, einzuhaken, nachzufragen und mit dir in einen Dialog zu kommen. Dabei geht es nicht um ein langes Epos in blumiger Sprache. Diese muss natürlich dem Kontext angemessen sein. Vor allem solltest du auch nicht alles in die Form einer Geschichte pressen. Es geht um gezielten Einsatz. Darum, Akzente an der richtigen Stelle zu setzen.
Geschichten gehören zur professionellen Vorbereitung
Jede Phase in deinem Bewerbungsprozess sollte professionell und strukturiert vorbereitet werden. Essentiell ist dabei der Abgleich zwischen Anforderungen der Position und deinen Erfahrungen und Kompetenzen. So werden bei der Analyse der Stellenbeschreibung alle formulierten Anforderungen aufgelistet und nach „Kann“ und „Muss“ Anforderungen klassifiziert. Im nächsten Schritt ordnest du zu jeder Anforderung Tätigkeiten aus deinen bisherigen Positionen zu, die zeigen, dass du relevante Kompetenzen und Erfahrungen hast. Die Priorität liegt auf deiner aktuellen Position und der Position davor. Zu jeder Kompetenz oder Erfahrung beschreibst du ein oder zwei konkrete Situationen, in denen du diese idealtypisch gezeigt hast. Es sind diese Situationen, die du im Rahmen des Interviews nicht als nüchterne Faktensammlung, sondern als Story präsentieren kannst. Insbesondere für die Situationen, in denen du „Muss“ Kompetenzen gezeigt hast. Diese in Geschichten zu packen und zu üben ist Teil der Vorbereitung. Das hat nichts mit Schauspielerei zu tun. Es ist einfach Teil deiner professionellen Vorbereitung. Genauso wie du trainierst, wie du auf kritische oder gar provokative Fragen reagierst.
Nach zwanzig Jahren im Gedächtnis
In meiner ersten beruflichen Station war ich verantwortlich für das Traineeprogramm eines großen Energieversorgers. Das schloss auch die Auswahl der Bewerber*innen ein. Es waren viele Gespräche. Ein Interview habe ich nicht vergessen. Warum? Weil mir die Bewerberin – ich nenne sie hier Marion – eine Geschichte erzählte. Auch wenn Marion sicher noch nie etwas von Storytelling gehört hatte. Zu dieser Zeit war dieser Begriff noch nicht Teil des Business-Vokabulars. Auch für uns waren damals Flexibilität und Belastungsfähigkeit wichtige Eigenschaften und wir versuchten, diese im Interview zu fassen. Ich stellte also die typische Frage: „Können Sie mir einmal konkret aufzeigen, wo Sie Ihre Flexibilität und Belastungsfähigkeit unter Beweis gestellt haben?“ Marion hatte bereits erste Berufserfahrung und war unter anderem verantwortlich für die Organisation einer großen Kundenveranstaltung gewesen. Eine typische, faktenbasierte Antwort hätte lauten können: „Ich war verantwortlich für die Organisation und Durchführung einer großen Kundenveranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern aus verschiedenen Ländern.“ Daraufhin hätte ich begonnen nachzubohren. Musste ich aber nicht. Denn Marion begann eine Geschichte zu erzählen. Diese begann mit dem Tag, als ihr Chef im Büro stand und ihr die Verantwortung für die Veranstaltung übertrug. Sie beschrieb, wie sie erstmal überrascht war, da sie noch nicht viel Erfahrung hatte. Wie sie zweifelte, ob dies nicht eine Nummer zu groß für sie sei. Und dann ihr Herz in die Hand nahm, sich Mitstreiter*innen suchte und loslegte. Wie sie am entscheidenden Tag bei brütender Sommerhitze morgens im Auto saß und nicht wusste, was sie mehr zum Schwitzen brachte. Die Aufregung oder die Temperaturen. Dann schien alles schief zu gehen. Die Technik am Veranstaltungsort funktionierte nicht, der Hauptreferent saß im Zug fest und das Catering-Unternehmen hatte zu wenig Essen vorbereitet. Sie erzählte von der Panik, die ihr den Rücken hochkroch und sie erst nicht wusste, was sie tun sollte. Aber auch davon, wie sie die Panik überwand, ihr Team zusammenrief, verteilte, organisierte. Bis hin zum Anruf bei einer Freundin, die ihr zwischendurch neue Kleidung brachte, weil ihre durchgeschwitzt war. Am Ende war nicht alles perfekt aber die Veranstaltung dennoch ein Erfolg. Marion erzählte uns diese Geschichte in ein paar Minuten. Sie zeigte ihre Kompetenzen und ihre Persönlichkeit. Welchem Muster die Geschichte folgte? Du kannst es dir aussuchen. Ein wenig „Die Suche“, ein wenig „Das Monster überwinden“. Das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass sie mir nach zwanzig Jahren noch im Gedächtnis ist. Ein Beispiel wie Geschichten wirken. Auch oder gerade im Rahmen deiner Bewerbung.
Im Überblick
- § Storytelling als kommunikatives Mittel liegt im Trend. Es geht darum, Fakten in konkrete Geschichten zu verpacken und so nachhaltig zu vermitteln.
- § Storytelling funktioniert, weil es der Art entgegenkommt, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet. Wir behalten am besten konkrete Handlungen, die uns Zusammenhänge, Sinn und Emotionen vermitteln. Genau das tun Geschichten.
- § Die meisten Geschichten folgen typischen Grundmustern wie zum Beispiel „Das Monster überwinden“.
- § Storytelling ist auch im Bewerbungsprozess ein wertvolles Mittel, deine Kommunikation optimal zu gestalten. Teil der systematischen Vorbereitung ist der Abgleich von Anforderungen und eigenen Kompetenzen. In Bewerbungsinterviews fragt man dich nach konkreten Situationen, in denen du insbesondere die zentralen „Muss“ Kompetenzen gezeigt hast. Um diese greifbar zu machen und nachhaltig zu vermitteln sind Geschichten ein wichtiges Mittel und Storytelling Teil einer professionellen Vorbereitung.